Gedenken am Volkstrauertag - Neue Stelen am Mahnmal für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft

Veröffentlicht am: 15.11.2022
Volkstrauertag 2022 - Stelen Mahnmal© Stadt Billerbeck
Billerbeck gedachte am Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Traditionell zogen die Freiwillige Feuerwehr, das Billerbecker Blasorchester, die Fahnenabordnungen der Billerbecker Vereine sowie Mitglieder von Rat und Verwaltung und der Kirchengemeinden zum Mahnmal.

Zehntklässler der Geschwister-Eichenwald-Schule verlasen Texte, unter anderem Teile der ukrainischen Nationalhymne. Bürgermeisterin Marion Dirks hielt die Gedenkrede, mahnte angesichts des Krieges zum entschiedenen Eintreten für den Frieden und legte mit Presbyterin Gisela Heymanns, Propst Serries und den Schülern den Kranz nieder.

Rechtzeitig zur Gedenkfeier konnte die Gedenktafel aus Corten-Stahl als Ergänzung des Mahnmals ihrer Bestimmung übergeben werden. Die Tafel enthält die Namen der Billerbeck Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Auf Intitiative von Wolfgang Suwelack und der gleichnamigen Stiftung setzte Künstler Christoph Sandkötter das Vorhaben um. Bürgermeisterin Marion Dirks bedankte sich im Namen der Stadt für das großartige Engagement.

Bild (v.l.n.r.): Wolfgang Suwelack, Christoph Sandkötter und Bürgermeisterin Marion Dirks freuten sich, dass die neuen Gedenktafeln passend zum Volkstrauertag fertig gestellt waren.


Rede der Bürgermeisterin Marion Dirks am Volkstrauertag (13. November 2022)

Liebe Billerbeckerinnen und Billerbecker,

wenn wir heute am Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewalt gedenken, tun wir dies im Angesicht eines Krieges in Europa. Seit dem Beginn des russisch-ukrainischen Krieges im Februar 2022 wird wieder bewusst, dass Krieg weiterhin Mittel der Politik ist. Wir sehen die Schrecken, die der Krieg von alters her über Länder und Völker bringt, in unmittelbarer Nähe.

Wir haben in unseren Reihen Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, weil dort Bomben fallen.

Wir hatten im Sommer Kinder zu Gast, die in ihrer Heimat Raketenangriffe erlebt haben, die zu ihren Familien zurückkehrten,  die dort mit dem Wiederaufbau beschäftigt sind und mit Bangen auf den Winter schauen.

Der Krieg ist ganz nah. Auch für uns.

Für mich war es kaum vorstellbar, dass Russland tatsächlich die Ukraine angreifen könnte. Seit Februar, wenn wir präzise hinschauen, eigentlich bereits seit der Annexion der Krim im Jahre 2014, herrscht wieder Krieg in Europa. Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine erneut das Völkerrecht und alle Regeln der Nachkriegsordnung in Europa gebrochen. Im Jahr 2022 müssen wir Bilder aus der Ukraine sehen, von denen wir gehofft hatten, dass sie sich gerade auf unserem Kontinent niemals wiederholen: Menschen, die vor Bomben in U-Bahnschächte fliehen, die sich an der Grenze von ihren Familien trennen oder gar für immer Abschied nehmen müssen an langen, frisch ausgehobenen Grabreihen. Wir sehen, was die Menschen erleiden müssen nach dem skrupellosen Überfall Russlands, für den Präsident Putin und die russische Regierung die politische Verantwortung übernehmen müssen. 

 Wir sehen, wozu Menschen in diesem Ausnahmezustand fähig sind – im Guten wie im Schlechten: Flüchtlingskonvois unter gezieltem Beschuss, geplünderte und zerstörte Städte und grausame Massaker an Zivilisten, aber auch erbitterter Widerstand von ukrainischen Soldaten, mutiger Protest von Zivilisten gegen Panzer und eine immense internationale Hilfsbereitschaft.

All diese Schrecken des Krieges finden im Herzen Europas statt. Von Berlin bis zur ukrainischen Grenze ist es genauso weit wie von Berlin nach Brüssel. Die Bilder erinnern mich stark an zerstörte Städte in Europa im Jahr 1945. Mit diesem brutal angegriffenen Land und seinen Menschen trennt und verbindet uns vieles: eine gewaltvolle Vergangenheit, aber auch die Fundamente einer gemeinsamen Kultur und der Wille zur demokratischen Selbstbestimmung für eine friedliche Zukunft.

Wir stehen heute an unserem Mahnmal für die Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft.  Es ist grade restauriert, damit es weiterhin ein Zeichen des Mahnens für den Frieden sein kann. Vielleicht auch ein Ort der Stille und der Besinnung in Zeiten großer Sorgen. Die ursprüngliche Glasplatte war leider zerstört worden. Jetzt machen übergroßen Platten aus Stahl durch die Namensnennung alle uns bekannten Opfer aus Billerbeck sichtbar. Ich darf heute im Namen aller Bürgerinnen und Bürger der Stadt Billerbeck der Wolfgang Suwelack Stiftung und ganz persönlich Wolfgang Suwelack für dieses großartige Engagement Danke sagen. Danke sage ich auch dem Künstler Christoph Sandkötter, der sich dieser nicht trivialen Aufgabe gestellt hat.

Der Gedenktag gibt uns auch Anlass nachzudenken und besonnen, aber entschieden tätig zu werden. Aggression dürfen wir nicht hinnehmen und müssen gemeinsam in Europa für Menschenrechte, Frieden und Freiheit eintreten.

Gerade jetzt gilt es, unseren unmittelbaren östlichen Nachbarn, die schon lange vor der Kriegsgefahr gewarnt haben, genau zuzuhören. Bewusst begeht der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge am diesjährigen Volkstrauertag seine Zentrale Gedenkstunde im Deutschen Bundestag mit Lettland als Partnernation. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs verbindet Deutschland und Lettland eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Kriegsgräberfürsorge, bei Jugendbegegnungen sowie dem gemeinsamen Gedenken an die nach Riga deportierten und dort umgebrachten Juden. Auch die Stadt Billerbeck ist Mitglied im Riga-Komitee. Billerbeck hat mit Iecava eine Partnerstadt in Lettland. Meine persönlichen Erfahrungen haben meine Einschätzung geschärft.

Das gilt auch für unsere Kontakte mit der ukrainischen Stadt Malyn, nordwestlich von Kiew. Mein ukrainischer Kollege und ich wollen diese Kontakte zu einer Städtepartnerschaft ausbauen.

Fast nichts von dem, was in der Ukraine passiert, ist neu.  In der Ukraine werden die traumatischen Kind­heitserinnerungen unserer Eltern und Großeltern wie­der schreckliche Realität: Sirenen. Bomben. Granaten. Panzer. Wohnhäuser, ganze Städte in Trümmern. Ver­zweifelte Menschen in Kellern, U­-Bahnhöfen und Tiefgaragen. Verletzte und Tote, darunter viele Kinder, Millionen auf der Flucht.

Diese einschneidenden Ereignisse verstärken unseren Handlungsauftrag: Wir müssen uns aktiv für eine friedliche Gegenwart und Zukunft einsetzen.

Wir können uns aus den Konflikten um uns herum nicht heraushalten. Wir müssen uns lange ignorierten Realitäten stellen, wenn wir auf die aktuellen Kriegsverbrechen in der Ukraine und anderswo schauen.

 „Die Menschenwürde ist unantastbar“ und zwar überall – diese Lehre aus dem Zivilisationsbruch des Angriffskrieges gilt unverändert. 

Dafür müssen wir einstehen, auch wenn es für uns unangenehm wird. Nur darüber zu reden, reicht nicht.

Und sie gilt auch hier in unserer Stadt. Der respektvolle Umgang miteinander ist der Grundstein für den Frieden.  Ob in der direkten Begegnung oder in und über die Medien. Wir müssen einander zuhören und auf der Grundlage unserer demokratischen Ordnung handeln. Das heißt selbstverständlich nicht, dass wir alle einer Meinung sein müssen. Vor allem müssen wir handeln, wenn Unrecht geschieht. Und das, was Unrecht ist, ist in einem demokratischem Staat nicht verhandelbar.

Am heutigen Volkstrauertag gedenken wir aller Toten von Krieg und Gewaltherrschaft in Deutschland und weltweit. Doch in diesem Jahr denken wir im Besonderen an die Kriegstoten und ihre Angehörigen in der Ukraine: der vielen in den vergangenen Monaten gefallenen Soldaten und getöteten Zivilisten. Unsere Gedanken gelten aber auch den getöteten russischen Soldaten und ihren Familien, die diesem verbrecherischen Krieg nicht ausweichen konnten und oft sogar mit einer falschen Wahrheit in die Pflicht genommen wurden.

Wir erinnern auch an die Millionen von Toten, die nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und schon zuvor während des Ersten Weltkrieges in diesem Land und in ganz Osteuropa zu beklagen waren. Allein in der Ukraine ruhen an die 170.000 deutsche Kriegstote auf den Kriegsgräberstätten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht das heute Totengedenken. Es ist 1952 von Theodor Heuss eingeführt und von seinen Nachfolgern angepasst werden. Diese Worte möchte ich uns allen auf den Weg geben:

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.

Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern,

und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.